Mit Butter und Speck zur Traumfigur
01.03.2012 11:47 (12057 x gelesen)

Fett macht fett und krank! Da sind sich rund um den Erdball die Fachgesellschaften für Ernährung, Mediziner, Ernährungsberater und in der Folge auch die Konsumentinnen und Konsumenten einig. Deshalb essen Millionen Menschen seit Jahrzehnten Margarine statt Butter, geben Mütter ihren Kindern ab dem zweiten Lebensjahr fettreduzierte Milch zu trinken und schneiden Linienbewusste beim Kotelett den Fettrand ab (sofern sie sich denn eine solche Sünde überhaupt leisten). Die Regale im Supermarkt füllen sich zusehends mit „figurfreundlichen“ Produkten: Magermilch, Magerjoghurt, Magerquark, mageres Fleisch, Low-fat-Fertiggerichte usw. Da müssten wir doch eigentlich alle schlank und rank wie Spargel sein. Doch offenbar bleibt das einzig „Magere“ der Erfolg der allgemein anerkannten Ernährungsempfehlungen.
 
Von Susanne Bellotto

Tatsächlich nimmt die Fettleibigkeit rund um den Globus zu, wie eine im Februar 2011 in der Fachzeitschrift The Lancet veröffentlichte Studie zeigt. Rund eine halbe Milliarde Menschen weltweit sind zu dick – das sind doppelt so viele wie noch vor dreißig Jahren. Und Übergewicht sowie Bluthochdruck sind unterdessen auch nicht mehr nur Probleme der „Reichen“ sondern betreffen auch Länder mit mittlerem und niedrigem Einkommen. Offenbar läuft da etwas falsch. Also: Bitte zurück an den Start.

Essen für „men at work“

Beginnen wir mit ein wenig Geschichtsunterricht. Die vermutlich ersten Ernährungsempfehlungen Europas formulierte der niederländische Physiologe und Arzt Jakob Moleschott im Jahr 1859. Er beschrieb in einem Aufsatz mit dem Titel „Von der Menge, in welcher die einzelnen Nährstoffe zu einer vollständigen Ernährung erfordert werden“ die Ernährungsweise einzelner Männer mit anstrengenden Tätigkeiten, also beispielsweise von Fabrikarbeitern, Bauern oder Soldaten. Es ging dabei hauptsächlich darum, die Energie- und Eiweißzufuhr zu erfassen, die man damals als essenziell für den Erhalt der Arbeitskraft betrachtete.

In den Kriegsjahren am Anfang des 20. Jahrhunderts wollte man vor allem den minimalen Nahrungsbedarf der Soldaten an der Front, von Gefangenen sowie bezüglich der Armenfürsorge ermitteln. Sowohl britische als auch amerikanische und deutsche Forscher hatten erstmals den Zusammenhang zwischen Ernährung und geistiger wie auch körperlicher Leistungsfähigkeit bzw. zwischen Armut, unzureichender Ernährung und Krankheit aufgezeigt. Das Thema war jetzt wichtig geworden und international wurde geforscht, besonders aber in den USA.

Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich dort Übergewicht zur Volkskrankheit Nummer eins, die Zahl der Herzinfarkte explodierte förmlich. Als 1955 auch Präsident Eisenhower einen Herzinfarkt erlitt, wurde die Frage nach den Ursachen dieses „Killers“ zum öffentlichen Thema. Und damit schlug die Stunde des Biochemikers Ancel Keys von der University of Minnesota. Ihm verdanken wir hauptsächlich die Fett-Phobie der letzten dreißig Jahre. Keys hatte in seiner berühmten Seven Countries Study die Fettverbrauchsdaten, die mittleren Cholesterinspiegel und die Herzinfarktraten von Italien, Griechenland, Jugoslawien, den Niederlanden, Finnland, Japan und den USA verglichen und festgestellt: Je höher der Fettverbrauch und je mehr gesättigte Fettsäuren, desto höher die mittleren Cholesterinwerte und die Herzinfarktraten. Keys empfahl den Amerikanern folglich, ihren Fettverbrauch auf weniger als dreißig Prozent der täglichen Kalorien zu senken. Bloß: Keys konnte weder Belege für einen Nutzen seiner Empfehlungen vorlegen noch waren seine Studienergebnisse hieb- und stichfest. Warum hatte er ausgerechnet die oben erwähnten sieben Länder ausgewählt? Daten für viele andere Länder waren ebenfalls verfügbar. Brisant: Hätte Keys beispielsweise die Daten aus Finnland, Israel, den Niederlanden, Deutschland, der Schweiz, Frankreich und Schweden miteinander verglichen, wäre er nämlich genau zum gegenteiligen Schluss gekommen: Je mehr (gesättigte) Fette, desto weniger Herzinfarkte!

Es mangelte denn auch nicht an Kritik gegenüber seinen Empfehlungen. Doch Keys war ein einflussreicher Mann, der es am 13. Januar 1961 sogar auf das Cover des Time-Magazines schaffte.

Um eine lange Geschichte kurz zu machen: Die Wissenschaftler stritten, die Datenlage zum Einfluss von Fett auf die Gesundheit war weiterhin unklar und schließlich schaltete sich die Politik ein. Um den Streit um den Zusammenhang zwischen Fett, Cholesterinspiegel und Herzinfarkt zu beenden, berief die amerikanische Gesundheitsbehörde NIH 1984 eine so genannte Konsensus-Konferenz ein. Doch die Skeptiker, wie beispielsweise der Kardiologe Michael Oliver vom Imperial College in London, hatten keine Chance, war die Sachverständigengruppe doch von vornherein so gewählt, dass ein „Konsens“ zustande kommen musste. Gemäß Konferenzbericht bestand „kein Zweifel, dass eine fettarme Ernährung jedem Amerikaner über zwei Jahren einen wesentlichen Schutz gegen Koronare Herzkrankheiten biete“. Aufgrund dieses „Befunds“ startete das NIH 1986 sein National Cholesterol Education Program (Nationales Cholesterin Erziehungsprogramm), das jedem Amerikaner über zwei Jahren vorschrieb, was er zu essen hatte. Diese strikten amerikanischen Ernährungsempfehlungen wurden in vielen Ländern fast unverändert übernommen und bilden bis heute die Grundlage für die bekannte „Ernährungspyramide“.

Unsere heutigen Ernährungsempfehlungen basieren also auf über hundert Jahre alten Beobachtungen an Bauern, Soldaten und Fabrikarbeitern und wurden in den Siebziger Jahren per Expertenmeinung und ohne gesichertes Wissen zur gesunden Ernährung für alle – egal ob jung oder alt, dick oder dünn, krank oder gesund – erklärt. Die meisten Langzeit-Beobachtungsstudien und ein großer Teil der klinischen Studien zum Einfluss von Fett auf die Gesundheit wurden erst später veröffentlicht. Ihre Ergebnisse widersprachen und widersprechen den Ernährungsempfehlungen mehrheitlich, wurden und werden jedoch ignoriert oder wegdiskutiert. Warum, ist unklar. Sollen die Menschen vielleicht dick, dumm und krank sein? Trotz erdrückender Datenlage für das Gegenteil bleibt Fett der Sündenbock. Wollen wir das Pferd also einmal am Schwanz aufzäumen und schauen wir uns an, was Fette alles können und leisten.

 

Fett schmeckt!

 

Eines ist unbestritten: Etwas Butter, gutes Öl oder Rahm ins Essen macht dieses erst richtig schmackhaft. Fette sind Geschmacksträger, da viele Aromen fettlöslich und damit auf die Geschmacksvermittlung von Fetten angewiesen sind. Fette wirken auch als eine Art Geschmacksverstärker, indem sie die Aromen anderer Lebensmittel aufnehmen und miteinander verbinden. Dabei empfinden wir das komplette Fett (Triglyzerid) eigentlich als geschmacklos und schmecken bloß die einzelnen freien Fettsäuren. Diese hingegen nehmen wir auf vielfältige Weise sensorisch wahr (Nase, Mund…). Diese Informationen gelangen in diverse Hirnregionen (beispielsweise unser „Belohnungszentrum“, deshalb ist Fetthaltiges als „Trösterchen“ so beliebt!) und von dort auch in den Magen-Darm-Trakt. Geschmack und Nährwert hängen in der Natur immer eng zusammen. Da kann man sich schon fragen, welche Auswirkungen kalorienarme Fettersatzprodukte (Low fat-Produkte) haben. Denn das Hirn „schmeckt“ Fett und meldet an die Verdauung: Achtung, da kommen Kalorien. Und dann kommen doch keine…obwohl doch alles vorbereitet wäre. Es ist nicht wahr, dass wir automatisch mehr essen, weil wir etwas mögen. Es geht auch nicht darum, möglichst viel Fett zu essen, sondern ausreichend gutes Fett, so dass unser Essen nahrhaft ist und richtig gut schmeckt. Oder um es mit den Worten der preisgekrönten Köchin Jennifer McLagan zu sagen, die ein ganzes Kochbuch zum Thema verfasste: „Fett lässt alles was wir essen besser schmecken, Fett zu essen macht zufrieden, sodass wir insgesamt weniger essen und unser Verlangen nach Naschwerk sinkt. Unsere Mahlzeiten zu genießen macht glücklich und reduziert Stress.“

 

 




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